Eck, 83703 Gmund, Deutschland
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Auf der Eck - Michlbauer in Hintereck
Quelle: Alpenregion Tegernsee Schliersee
Beschreibung
Das ehemalige Bauernhaus auf der Eck (so genannter „Michlbauer in Hintereck“) ist ein zweigeschossiger Flachsatteldach-Blockbau mit umlaufender Balusterlaube und teilverschalter Giebellaube und stammt aus dem Jahr 1751.
Der in Gmund lebende Schriftsteller Wilhelm Diess verbrachte zwischen 1944 und 1955 viele Jahre hier:
„Als Diess 1944 noch zur Organisation Todt abgestellt werden sollte, zog er sich auf seinen 1925 erworbenen kleinen Bauernhof auf der Eck bei Gmund am Tegernsee zurück. Dieser 1751 erbaute und dem Kloster Tegernsee zinsbare Hof ist bis in unsre Tage fast unverändert erhalten geblieben. Er hat nicht nur Sturm und Regen, Hitze und Kälte gesehen, sondern solange Wilhelm Diess hier Bauer war auch viele bekannte Landsleute. Mitglieder des bayerischen Königshauses waren genauso zu Gast wie einfache Volksmusikanten. Ja, im Jahr 1932 hub dort auf der Höhe ein Singen und Musizieren an, wie es nur zwei Jahre früher beim Rottach-Egerner Preissingen zu hören war. Diess bewirtschaftete mit seiner Frau und den drei Kindern den Hof selbst. In dem Buch ‚Im kleinen Stall‘ läßt er uns diese Zeit anschaulich nacherleben. Die Geschichten ‚Der Blitz‘ und ‚Der Schlafhammel‘ spielen auf der Eck.“
(Eisenburg, Originale und Persönlichkeiten, S. 11)
Hierher kamen auch Diess’ Bekannte aus der Gelehrten- und Künstlerwelt Münchens und Tegernsees zu Besuch: der Volksliedsammler Kiem Pauli (1882-1960), die Schriftsteller Ernst Penzoldt (1892-1955), Richard Billinger (1890-1965), Josef Hofmiller (1872-1933), Eduard Stemplinger (1870-1964), Elsa Bernstein (1866-1949), der Maler Thomas Baumgartner (1892-1962), der Verleger Ernst Heimeran (1902-1955) oder der Journalist Wugg Retzer (1905-1984). Die Geschichten, die Wilhelm Diess an lauen Sommerabenden aus dem Stegreif zum Besten gab, flossen später in sein erstes Buch „Stegreifgeschichten“ (1936) ein.
Literarisches Zeugnis: Wilhelm Diess (1884-1957)
Wilhelm Diess wurde in Bad Höhenstadt bei Passau geboren. Sein Vater war Dorfschulleiter und versah den Gemeindeschreiber- und Kirchendienst, seine Mutter betrieb im Schulhaus einen kleinen Laden. 1890 wurde der Vater nach Pocking versetzt, wo Wilhelm Diess bis 1894 die Volksschule besuchte und vom Vater in Gesang, Klavier und Geige unterrichtet wurde. Nach einem Jahr auf dem Passauer Gymnasium kam Wilhelm Diess nach Landshut und machte 1904 das Abitur. Danach schrieb er sich an der Universität München für Rechtswissenschaften ein, hörte aber auch Vorlesungen über altorientalische und altnordische Sprachen. Sein Studium finanzierte er über Nachhilfestunden, Geige- und Orgelspiel, Singen in Kirchenchören sowie im Opern-Aushilfschor.
1908 erhielt er ein Promotionsstipendium, 1909 wurde er zum Dr. jur. approbiert, im selben Jahr lag auch seine erste dichterische Veröffentlichung vor: „Das Lied vom Plöckenstein. Text und Musik von Willi Dieß“. Diess machte das Staatsexamen, die Einberufung zur Staatsanwaltschaft des Landgerichts Traunstein lehnte er jedoch ab, da er freier Rechtsanwalt beim Schriftsteller und Juristen Max Bernstein (1854-1925) in München werden will. 1914 wurde Diess zur Infanterie einberufen und an der Westfront eingesetzt, 1918 folgte seine Entlassung aus der Armee als Oberleutnant.
Nach dem Krieg eröffnete er in München eine eigene Anwaltskanzlei. Mit urheber-, verlags-, theater- und standesrechtlichen Fragen vertraut, vertrat er den Schriftsteller Ernst Penzoldt gegen den nationalistisch verbrämten Turnlehrer Loch. Für die Bayerische Staats- und die Reichsregierung nahm Diess als Vertreter der Anwaltschaft auf Juristentagungen im Ausland teil. Von parteipolitischem Engagement hielt er sich jedoch fern.
1933 verlor Wilhelm Diess wegen der halbjüdischen Herkunft seiner Frau und seiner Mitgliedschaft bei den Freimaurern sein Amt im Vorstand der Münchner Anwaltskammer. Als Anwalt und Publizist arbeitete er jedoch weiter und tat in Fachaufsätzen seine Meinung gegen die NS-Ideologie kund. Nach dem Krieg wurde er als Ministerialrat ins Bayerische Justizministerium berufen, wo er die Reorganisation der bayerischen Anwaltschaft und des Notariatswesens übernahm. Vom Kultusministerium zur Generaldirektion der Bayerischen Staatstheater versetzt, kümmerte er sich schließlich um den Wiederaufbau der Bühnenhäuser sowie des gesamten Theaterbetriebs. 1952 trat er in den Ruhestand.
Als Honorarprofessor lehrte er noch an der Universität München Urheber- und Erfinderrecht. In seinen Seminaren war auch einer der bedeutendsten spanischen Denker des 20. Jahrhunderts zu Gast: der Philosoph, Essayist und Soziologe José Ortega y Gasset (1883-1955).
Seit 1948 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und Direktor in der Abteilung Schrifttum, stand Wilhelm Diess dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege als 1. Vorsitzender vor. 1956 bekam Diess das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
Auf dem alten Friedhof der St.-Georgs-Kirche in München fand er seine letzte Ruhestätte.
Neben den beiden Büchern „Stegreifgeschichten“ und „Das Heimweh“ von 1940 gab es zu Lebzeiten Diess’ noch drei Buchausgaben von ihm: „Der kleine Stall“ (1947), „Der singende Apfelbaum“ (1950) und „Madeleine Winkelholzerin. Schicksal eines liebenden Herzens“ (1954), ein moderner Frauenroman.
Wilhelm Diess wurde vorwiegend „als bayerischer Heimatdichter wahrgenommen, und es stimmt natürlich auch, daß in seinen Geschichten viel über die Eigenart von Land und Leuten, Sprache und Kultur auf unnachahmliche Weise vermittelt wird. Inzwischen aber wird erkannt, daß Diess mehr war als ein weißblauer Heimatliterat. [...] ‚Diess war ein Meister der unsentimentalen, von wohlwollendem Humor getragenen Schilderung alltäglicher Ereignisse, die in ihren schlichten, exemplarischen Wahrheiten über den regionalen Rahmen hinausweisen, in dem sie so fest verankert scheinen.‘ [...] ‚Derart klassische Texte [...] gehören zum Besten, was wir an deutscher Kurzprosa haben.‘“ (Göttler, S. 120)